Bereits beim Überqueren des Schlagbaumes bekommen wir einen kleinen Eindruck davon, was uns in Äthiopien erwartet. Menschenmassen die sich auf der Straße tummeln, die meisten treiben Kühe, Schafe
oder Esel vor sich her, das Autofahren wird hier vermutlich kein Vergnügen werden. Doch zunächst müssen die Einreiseformalitäten absolviert werden wozu selbstverständlich auch das Abwimmeln der
allgegenwärtigen Grenzhelfer gehört.
Einer tut sich als besonders dreist hervor, er verlangt doch tatsächlich Geld dafür, dass er uns das Zollgebäude zeigt, in das wir gerade hinein gehen wollen. Nun denn, solche Kleinigkeiten
können uns inzwischen nicht mehr erschüttern, die ersten Kilometer auf äthiopischen Straßen hingegen sehr wohl. Die holprige Straße windet sich über schroffe Hänge und durch tiefe Täler auf eine
Höhe von über 2200 m.
Es gibt kaum Verkehr. Selbst der in der arabischen Welt obligatorische Eselskarren und das im Sudan häufig gesichtete Fahrrad scheinen hier unbekannt zu sein, nur wenige Busse überholen uns mit
überhöhter Geschwindigkeit. Lange bevor wir diese jedoch sehen, können wir sie hören, denn die auf dem Dach befindlichen Lautsprecher beschallen jeden mit ohrenbetäubender Musik.
Die vielen Menschen hier sind zu Fuß unterwegs, ewig auf der Wanderschaft, von hier nach da und keiner weiß wohin, manche gebeugt, den schmalen Rücken voll gepackt mit Holz, manche gestreckt und
scheinbar ohne Ziel. Allgegenwärtig sind jedoch die ungezählten Kinder in sämtlichen Größenordnungen. Da sind die Teenies, die uns verschämte Blicke zuwerfen, die 7-8 jährigen Mädchen, die bei
unserem Anblick oftmals schreiend davonlaufen und eben auch die kleinen Jungs, die anstatt zur Schule zu gehen, das Vieh hüten müssen und dieses auf den Straßen entlang treiben. „You, you, you“
rufen sie und die Hand, die gerade noch gewinkt hat, dreht sich zum Betteln herum. Anhalten ist völlig unmöglich, sofort sind wir umringt von einer Kinderschar und jedes bettelt: „You, you give
money!“
Wir haben Mühen mit diesem Land und sind froh, als wir in Tim und Kims Village am Lake Tana dem Ganzen für eine Zeitlang aus dem Wege gehen können. Tim unterhält uns mit einigen Geschichten aus
dem äthiopischen Alltagsgeschehen u.a. erzählt er die Story seines Moskitonetzes.
Nach fast 3.5 Jahren im kleinen Dorf Gorgora haben Kim und Tim nun endlich ein Bett bekommen und um darüber ein Moskitonetz zu befestigen, benötigen sie ein kleines Gestell. Aus Eisenstangen
werden jeweils 2 gleich lange Teile geschnitten, also 2 Rohre sind 2.00 m lang, die anderen beiden 1,60 m. Diese sollen nun zu einem rechteckigen Rahmen miteinander verschweißt werden und wandern
dazu ins Dorf. Am nächsten Morgen kehrt der Rahmen frisch verschweißt zurück, nur leider hat er nicht die Form eines Rechtecks, sondern die einer Raute. Dem Schweißer ist es doch tatsächlich
gelungen, die langen und kurzen Stücke zu vertauschen! Könnt ihr Euch Tims Stimmung vorstellen, als diese Geschichte gleich 2 x passiert und er trotzdem jedes Mal den vollen Preis bezahlen
muss?
Wir feiern Juppis Geburtstag am Lagerfeuer und verbringen einige entspannte Tage, doch irgendwann müssen wir wieder hinaus ins feindliche Leben. Wir haben kaum den steinigen Weg vom Camp ins Dorf
zurückgelegt, da holt uns die äthiopische Wirklichkeit bereits wieder ein. Auf einem klapprigen Bambusgestell, nur mit einem Tuch bedeckt, wird eine menschliche Leiche an uns vorüber getragen,
doch niemand außer uns nimmt auch nur Notiz davon. Anscheinend gehört auch so etwas hier zum Tagesgeschehen.
Nach einem kurzen Stopp in Gondar, eine kleine Stadt mit Palästen aus dem 17. Jahrhundert, machen wir uns auf den Weg in die Simien-Berge. Bereits die wenigen Kilometer auf der Straße bis nach
Debark vermitteln uns eine Ahnung davon, was uns erwartet, denn für nur 100 km benötigen wir geschlagene 7 Stunden und so erreichen wir den kleinen Ort am Rande des Simien Nationalparks erst bei
Einbruch der Dunkelheit.
Wir quartieren uns auf dem Hof des Simien Park Hotels ein und erhalten eine Hiobsbotschaft nach der anderen. Zunächst erfahren wir, dass man in den Nationalpark nicht nur einen Guide mitnehmen
muss, sondern auch noch einen Scout. Eigentlich keine dramatische Sache, doch diese beiden schmutzigen, stinkenden und verlausten Typen sollen uns in Monster begleiten und müssten dafür hinten in
unserer Sitzgruppe Platznehmen. Allein der Gedanke verursacht schon einen Juckreiz an meinem ganzen Körper und die Aussicht auf einen Floh im Bett gibt dann den Ausschlag. Die Simien Berge können
wir eigentlich auch aus einiger Entfernung sehen. Also tritt Plan B in Kraft, die Weiterfahrt nach Aksum.
Leider gibt es dazu auch keine guten Nachrichten, denn die Straße dorthin wird gerade von einigen Chinesen ausgebaut und asphaltiert und einige der Baustellen zu unbestimmten Zeiten für
unbestimmte Zeit gesperrt. Wir treffen Ann und Bob, zwei Australier die auf dem Weg von Kapstadt nach London und heute von Aksum heruntergekommen sind. Die beiden haben für die Strecke 10 Stunden
benötigt und erzählen, die betreffende Baustelle wäre aufgrund der Mittagspause der Chinesen in der Zeit von 12.00 bis 14.00 Uhr auf jeden Fall offen. Wir beginnen zu rechnen und kommen zu dem
Schluss, dass wir um 5.30 Uhr starten müssen um in dieser Zeit an der Baustelle zu sein.
Im Laufe des Abends ändert sich unsere Meinung nochmals, wir beschließen später zu starten und ggf. eine Übernachtung einzulegen. Allerdings haben wir die Rechnung ohne die örtliche Dorfjugend
gemacht, denn diese hat sich genau diese Nacht für eine Party auserkoren und so ist an Schlaf nicht wirklich zu denken. Da wir trotz Ohrstopfen um 4.30 Uhr immer noch wach liegen, können wir
genauso gut aufstehen und abfahren. Gesagt, getan und so brausen wir im Dunkeln davon.
Die Fahrt ist wirklich eine Horrorfahrt, die Straße und auch die Baustellen sind in einem schlimmen Zustand, an einer Stelle setzen wir mit der Hinterachse derartig auf einen Felsen auf, dass die
Hinterräder in der Luft hängen und wir nicht mehr vorwärts kommen. Erst der eingeschaltete Allradantrieb bewirkt, dass wir uns mit Hilfe der Vorderräder wieder von diesem Felsen befreien können.
Unsere Herzen klopfen zum Zerspringen, aber gottlob trägt Monster keinerlei Schaden davon.
Zu allem Überfluss scheint sich die Mittagspause verschoben zu haben, denn obwohl wir uns um 13.00 Uhr an der betreffenden Stelle einfinden, ist diese geschlossen und wir müssen 1.5 Stunden
warten. Folglich erreichen wir Aksum erst bei Einbruch der Dunkelheit. Warum dieser Ort zum Unesco Weltkulturerbe zählt, bleibt uns irgendwie schleierhaft. Die angeblich gigantischen Riesenstelen
können unseres Erachtens nicht dazu geführt haben, denn diese hauen einen wirklich nicht vom Hocker. Etwas frustriert ob des langen und anscheinend überflüssigen Weges treten wir nach 2 Tagen die
Weiterreise an.
Dieses Mal haben wir uns für eine Offroadstrecke von Adwa über Abi Adi, Abergele und Sekota nach Lalibela entschieden und bereits nach wenigen Kilometern sind wir völlig begeistert.
Keine Touristen, keine Steine werfenden Kinder, kaum ein Fahrzeug, einzig eine grandiose Landschaft. Die einzige Menschenseele, die wir unterwegs sehen, ist ein Viehhirte, der uns bei der
Zubereitung des Abendessens interessiert zuschaut. Welch eine Erholung! Damit ist es endgültig vorbei, als wir Lalibela, dessen 11 Kirchen ebenfalls in die Liste des Unesco Weltkulturerbes
aufgenommen wurden, erreichen.
Kaum fahren wir auf den Parkplatz eines Hotels, umkreisen uns die Guides bereits wie die Geier und wir können nur mit Mühe erklären, dass es heute bereits zu spät ist für eine Besichtigung. Am
nächsten Morgen gelingt es uns unbeobachtet davon zu schleichen und ganz dreist ohne Führer in die Kirchen vorzudringen. Diese wurden zunächst von oben nach unten samt allen Ornamenten aus dem
Gestein gehauen und dann wurden die Innenräume durch die Fenster und Türen ausgehöhlt. Die kreuzförmige St. Georgs Kirche aus dem 13. Jahrhundert steht z.B. in einem 12 Meter tiefen Loch und ist
durch einen kleinen Schacht zugänglich.
Der Zufall will es, dass wir an einem Samstag hier in Lalibela sind und somit haben wir Glück, denn es ist Markttag.
Aus der ganzen Umgebung strömen die Menschen zusammen, die einen treiben Kühe, Ziegen oder Esel vor sich her, die anderen bieten Gemüse an. Leider ist das äthiopische Angebot an selbigem recht
beschränkt, bis auf Kartoffeln, Zwiebel, Knoblauch, Chilis und einige verschrumpelte Möhren können wir nichts finden. Dafür finden die Leute uns und nach 1.5 Stunden ständiger „you, you, you“
Rufe und Bettelei können wir es nicht mehr ertragen und müssen eine Pause einlegen.
Was bietet sich da mehr an als in ein kleines Café zu gehen und endlich eine Kaffeezeremonie zu erleben? Fast in jedem äthiopischen Haushalt wird am Nachmittag eine kleine Kaffeezeremonie
abgehalten, dazu werden die frischen Kaffeebohnen gewaschen, über einem kleinen Feuer geröstet, in einem Mörser zerstoßen und am Ende in einer Kanne mit Wasser aufgekocht. Der Geruch von dem
frisch gerösteten Kaffee und einigen Weihrauchblättern, die auf das Feuer gelegt werden, ist einfach einmalig und fast genauso einmalig schmeckt dann auch der Kaffee. Einfach grandios!
Dermaßen gestärkt wagen wir uns wieder hinaus in Getümmel und sogleich ist ein junger Bursche an unserer Seite. Dieser hat sich eine bisher unbekannte Masche zugelegt, er bettelt zwar auch, aber
mit den Worten:“ Hast du Euros? Ich bin nämlich Münzensammler und brauche noch Euromünzen!“ Soviel Einfallsreichtum muss ja schon fast belohnt werden, denn andere verlegen sich einfach darauf,
uns bei unseren Einkäufen zu „helfen“, indem sie vermeintlich dolmetschen. Da die Marktfrauen weder deutsch oder englisch sprechen und es mit unserem Amharisch auch nicht zum Besten steht,
übersetzen diese Jungs den Preis ins Englische. Leider vergessen sie dabei zu erwähnen, dass sie den eigentlichen Preis verdoppelt haben und nach unseren Einkäufen zur Verkäuferin zurückkehren um
ihre Provision abzuholen. Aber auch dieser Trick hilft heute nicht, denn mittlerweile kennen wir die Preise für das karge Gemüseangebot.
Die Strecke von Lalibela bis zur neuen chinesischen Straße wird zu einer Art Spießrutenlauf, denn auf diesem Stück tummeln sich besonders viele Steinewerfer. Wir fragen uns immer wieder, warum
diese Kinder uns bewerfen und finden so recht keine Erklärung. Ist es einfach nur ein Spiel? Oder schauen sie es sich bei den Erwachsenen ab, die sowohl das Vieh als auch die Kinder mit Steinen
bewerfen um sie zur Ordnung zu rufen? Wir wissen es nicht, es ist nur einfach sehr schade, dass wir zu a) Monsters Fenster mit Spanngurten verkleiden müssen um keinen Schaden davon zu tragen und
zu b) die grandiose Landschaft kaum genießen können, da wir unsere Augen ständig auf den Straßenrand richten müssen.
Auf dem Weg nach Addis Abeba muss Monster die steile Nilschlucht bezwingen und so kommt es, dass wir vor Einbruch der Dunkelheit keinen sicheren Hotelparkplatz zur Übernachtung finden und
stattdessen mit einem Plateau am Rande der Schlucht vorlieb nehmen. Nach dem obligatorischen Besuch einiger Viehhirten, die einfach nur dasitzen und uns anstarren als ob sie Fernsehschauen,
bleibt es ruhig und wir legen uns zufrieden ins Bett.
Nachts werde ich wach und denke: jetzt verfolgen dich diese you, you Rufe bereits in deinen Träumen! Erst als Jupp sich neben mir regt und aus dem Bett springt, realisiere ich, das ist ja gar
kein Traum! Draußen stehen tatsächlich zwei Typen im Militärdress und rufen. Ob es Jupps Anblick mit zu Berge stehenden Haaren ist oder seine wüsten Beschimpfungen in deutscher Sprache, was sie
vertreibt, bleibt jedoch ungeklärt.
Am nächsten Morgen trudeln wir in Wim’s Holland House in Addis Abeba ein, wo sich bereits einige andere Reisende eingefunden haben, um meinen Geburtstag zu feiern und die Weihnachtstage zu
verbringen. Eine Grillparty jagt die nächste, Bier und Wein fließen reichlich, als wir am Montag endlich wieder aufbrechen, schaffen wir es nur bis zum Lake Langano. Dort am Karkaro Beach betten
wir die müden Häupter in die Hängematte, lassen die Seele baumeln und verschlafen den Sylvesterabend ganz traditionell.
In keinem Land unserer bisherigen Reise haben wir uns so unwohl gefühlt, die Aufdringlichkeit der Menschen, die ständige Bettelei, die Steinewerfer…alles eine Folge fehlgeleiteter
Entwicklungshilfe? Wir wissen es nicht, doch am Neujahrsmorgen brechen wir wieder auf, zu den Naturvölkern im Süden des Landes und zur inoffiziellen Grenze nach Kenia am Lake Turkana entlang.